• Realisierung: Michael Majerski
  • Dauer: 70 min
  • Poster

Ein Film über deutsche Frauen, die sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs entschieden, ihre Häuser und Höfe in Polen nicht zu verlassen. Damit ließen sie sich nicht nur auf eine ungewisse Zukunft ein, sondern mussten sich auch mit den neuen polnischen Nachbarn arrangieren. Über 60 Jahre nach dem Krieg erzählen jetzt die wenigen Frauen, die noch am Leben sind, zum ersten Mal über ihr persönliches Schicksal und die Folgen des Krieges, die bis in unsere Gegenwart hineinreichen. Damit berührt der Film Themen, die zwischen den heutigen deutsch-polnischen Nachbarn immer noch ein Tabu sind.

„Hier bin geboren und hier wollte ich bleiben, und das war mein Problem.“ Die alte Frau sagt es nachdenklich und eindringlich zugleich: Sie will, dass sie verstanden wird. Ihr Gesicht ist eines von elf Frauengesichtern, die dem Betrachter des Film „Meiner Mutter Land“ lange nicht aus dem Kopf gehen werden. Die Gesichter, die Bilder, sehr nah in engen Stuben und Küchen aufgenommen, die aussehen wie aus einer vergangenen Zeit. Die Stimmen, die, manchmal aufgebracht und bewegt, doch meist ruhig erzählen in jenem Singsang aus pommerschen Platt und Polnisch. Zwei der Frauen sprechen kein Deutsch mehr. Denn „hier“ – das ist heute Polen, die Wojewodschaft  Westpommern, kleine Dörfer. Vor dem Krieg gehörte dieses Stück Land an der Ostseeküste zu Deutschland, zu Pommern. Hier hat sich seither scheinbar nicht viel verändert an der Landschaft, den Häusern. Manchmal geht man mit einer der Frauen hinaus ins Dorf, schaut aufs Wasser, die verschneiten Wiesen. Man geht langsam, mit der Langsamkeit, mit der Ruhe des Alters.

„Man sollte vergeben, vergessen nicht, aber jetzt bin ich alt und möchte meine Ruhe haben.“ Auch diese Äußerung könnte wie manche andere der elf Frauen stehen, die der Regisseur Michael Majerski    aufgesucht hat, um sich ihre so verschiedenen und doch so ähnlichen Schicksale erzählen zu lassen. Einen Auftrag hatte er nicht, einen inneren nur, den Motor aller seiner Arbeiten: Zeichen setzen gegen das Vergessen, sensible Zeichen. Es war seine Idee, einen Dokumentarfilm über jene deutsche Frauen zu drehen, die 1945 blieben, wo sie waren – in ihrer Heimat, die nun auf einmal zu Polen gehörte. Wo es zum Problem wurde, als Deutsche bleiben zu wollen. Sie sind alte geworden, jene, die noch leben. Sie haben sich den behutsamen Fragen des erfahrenen Dokumentarfilmers nach und nach geöffnet und erstmals vor der Kamera von sich berichtet, eindringlich und umfassend, erbittert, wehmütig und zugleich voller Humor. Ruhe haben... ja. Doch die wenige Frauen, die sich entschlossen haben, den politischen Entwicklungen eine persönliche Entscheidung entgegenzustellen und mit den Folgen zumeist ganz auf sich gestellt waren, haben nun am Ende ihres Lebens einen weiteren Entschluss gefasst – ihre Scheu abzulegen und ihr Schicksal für die Nachkommenden aufzeichnen zu lassen.

Keine von ihnen hat je viel oder gar öffentlich darüber gesprochen, was es hieß, als Deutsche auf dem heimatlichen Hof und doch plötzlich in einem fremden Land zu leben. Die Ehemänner waren Polen, die, selbst heimatlos und kriegsmüde, mit der deutschen Frau zumeist auch deren elterlichen Besitz samt aller damit verbundenen Arbeit übernahmen – und die Funktion, die Ehefrau vor den polnischen Landsleuten zu schützen. Denn gern gesehen waren die Deutschen nicht. Es gab Anfeindungen, Fremdheit, die nochdie alt gewordenen Frauen zu umgeben scheint. Etwas wie Trotz klingt an bei den Gebliebenen. Viele haben den Druck nicht ausgehalten. Erst in den 70er Jahren durften sie als Spätaussiedler samt ihren Familien nach Deutschland. Zurück ? Oder weg ? Tausende sind ausgereist, bis heute stehen die leeren Höfe und verfallen allmählich.

Das Leben blieb entbehrungsreich. Der Kontakt zu  Schickalsgefährtinnen war beschränkt, weil Zeit für Besuche gab es nicht. Die Kinder – auch jene der zwei Frauen, die durch die Flucht nach Deutschland kamen und dort blieben – interessierte die Vergangenheit der Mütter kaum. „Die Kinder wollen nichts davon wissen, das ist doch deine Heimat und nicht unsere.“ „Die sagen – Mutter, du sollst das vergessen.“

Nach der Schule gab es für die Frauen keine weitere Ausbildungsmöglichkeit mehr. Die Nachkriegszeit erforderte alle Kräfte zu Überleben und zur Hilfe für die Nächsten. Das Erlernen der polnischen Sprache war schwierig genug. Eine der Frauen blieb Analphabetin. Und dennoch – die Sorgfalt, Emotionalität und Güte, mit der sie alle auf ihr Leben und ihre Erlebnisse zurückblicken, vermittelt Weisheit und Ausgesöhnt sein. Eine Weisheit, die den Blick ins Heute und Morgen nicht ausspart.

Amüsiert beobachten die alten Frauen heute die gegenläufige Tendenz: junge deutsche Männer,die der Anmut der jungen Polinnen verfallen... und wieder Mischehen gründen. Als wäre, so mag es ihnen erscheinen, dieser Aspekt des eigenen Schicksals eine Perle in einer Kette, nicht mehr gar so ungewöhnlich und unter weit friedlicheren Vorzeichen. „Vielleicht verstehen sich die deutschen Kinder oder die Jugendlichen mit den polnischen besser als die älteren, das ist doch durchaus möglich.“

So endet der Film fast beschaulich. Majerski, dessen begleitende Filmbeschreibung für diese Filmbesprechung mitgenutzt  wurde, gestaltet die Fahrt ins Nachbarland zu einer Fahrt in die eigene Geschichte. Im laufe der Gespräche ist uns die eine oder andere der alten Damen fast ans Herz gewachsen. Meine eigene Großmutter habe ich kaum gekannt. Sie ist 1945 nicht geblieben, sondern machte sich mit Mann und Kind im Treck auf den Weg gen Westen wie fast das ganze Dorf – nur eine Frau blieb dort zurück. Meine Mutter erzählte, als wir Kinder waren, wenig über die Flucht. Gut wäre es, eine Großmutter zu haben, die einem so, auf einem Sofa oder am Kachelofend sitzend, Kartoffeln schälend oder auch mal empört auf den Küchentisch hauend ihr Leben erzählt.

Wie Majerski es geschafft hat, ohne jeden Voyeurismus eine solche Authentizität zu vermitteln, objektiv zu bleiben und doch persönliche Nähe zu ermöglichen, das ist für mich neben seinen zeitgeschichtlichen Wert das größte Verdienst des Films.

Brit Bellmann, Greifswald
„Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern“ 12.Jg.1/08

Zitate aus dem Film

  • Hier bin ich geboren und hier wollte ich bleiben und das war mein Problem.
  • Mit der Zeit habe ich meinen Mann kennergelernt und die polnische Staatsangehörigkeit angenommen.
  • Jetzt ist hier alles vermischt und das ist gar nicht so schlecht… bis auf die Frage des Bluts.
    Muss es reines Blut sein? Es braucht nicht.
  • Hier hat sich keiner benommen etwas zu helfen, wenigstens die Sprache lernen, jeder musste es selbst…
  • Für Deutsche war kein Unterricht möglich
  • Was war, das war, nur am Anfang, als die hier kamen da war die Wut.
  • Man sollte vergeben, vergessen nicht, aber jetzt bin ich alt und möchte meine Ruhe haben.
  • Jetzt möchte man sich nicht erinnert werden, dann kommt man am besten darüber hinweg.
  • Gleich bei den Nachbarn haben wir ganz große Feinde und ich hatte festgestellt, dass die Leute den von den Deutschen was passiert ist, viel besser zu uns sind als die nicht gelitten haben. Ich weiß nicht wie das kommt.
  • Und wenn der Bauer kommt, dann muss ich doch gehen, es ist seins.
  • Alle zwei Jahre kriege ich Heimweh, dann muss ich hinfahren.
  • Bin ich nur dort als Voyeur gereist.
  • Die Kinder wollten nichts davon wissen, das ist doch deine Heimat und nicht unsere.
    Die sagen – Mutter du sollst das vergessen.
  • Das war früher dein Strand und Heute es ist Strand der Polen.
  • Die jetzigen Bewohner haben die gebotene Landschaft nicht so angenommen wie wir die genutzt haben.
  • Der Pole kann tüchtig arbeiten, aber Zuhause nicht.
  • Der Garten war noch da, und die Bäume – alles Unkraut.
  • Das hat alles die „Solidarität“ eingebracht, alles ist verschwunden … nichts, nichts, alles liegt hier brach.
  • Wir hatten hier Platz, der Krieg war nicht nötig. 
  • Wenn man alt ist denkt man anders, als wenn man jung ist.
  • Die (in Deutschland) haben auch nur die Rente auf alte Tage.
  • Vielleicht verstehen sich die deutschen Kinder oder die Jugendlichen mit den polnischen besser als die älteren, das ist doch durchaus möglich.

„Meiner Mutter Land” in Greifswald

Der Dokumentarfilm „Meiner Mutter Land“ von Michael Majerski wurde am 21. November 2006 im Rahmen der polnischen Kulturtage „PolenmARkT“ am Pommerschen Landesmuseum in Greifswald gezeigt. Im Anschluss an die mit etwa 100 Besuchern frequentierte Veranstaltung, die vom Regisseur selbst kommentiert wurde, gab es eine sehr lebhafte Diskussion und zahlreiche Anfragen nach Wiederholung des Films. 

Der Film ist auf eine unisono höchst positiv geäußerte Resonanz gestoßen. Hervorgehoben wurde von den Besuchern

  • die Idee und Art der Umsetzung dieser Dokumentation. Die Erlebnisgeneration der Kriegs- und Nachkriegsjahre stirbt aus und hatte nicht immer die Möglichkeit, den Nachgeborenen die eigene Biografie zu vermitteln. Der Film gibt Frauen, die noch nie über ihr Schicksal sprechen konnten, erstmals eine Stimme. Hinzu kommt, dass durch die zwanglose Verbindung mehrerer Biografien en passant ein Faktennetz entsteht, das die Glaubwürdigkeit und Authentizität, die die Gesprächsprotokolle sowieso in hohem Maße haben, noch unterstreicht.
  • die Direktheit der Herangehensweise an die „Hauptdarsteller“, jene Frauen, die dem Betrachter des Films sozusagen auf Augenhöhe gegenübersitzen und auf sehr persönliche Weise von ihrem außergewöhnlichen Schicksal berichten.
  • die Sensibilität des Regisseurs, der sich aus dem Filmgeschehen fast vollständig ausklammert. Der Betrachter empfindet die technische Seite der Filmentstehung nicht, sondern begibt sich mit den Protagonisten in einen persönlichen Dialog, den Majerski behutsam und kaum spürbar gesteuert hat. Emotional ist der Film den Betrachtern, Jüngeren wie Älteren, sehr nahegegangen, was im Anschluss auch von vielen formuliert wurde.

Weitere Dokumentationen dieser Art – objektiv, einfühlsam, sensibel, aber ohne jede politische oder moralische Wertung oder Doktrinierung – wären zweifellos zu wünschen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Fortsetzung des deutsch-polnischen Dialogs. Gerade im Bereich der jüngeren Geschichte sind Zeitzeugenbefragungen und –dokumentationen für beide Seiten von unschätzbarem Wert.

Die Kulturreferentin für Pommern am Pommerschen Landesmuseum ist an der Fortsetzung des Themas durch den Dokumentarfilm „Meines Vaters Land“, der sich derzeit in Vorbereitung durch den Regisseur M. Majerski befindet, sehr interessiert und wird ihn zu gegebener Zeit auch zeigen. Eine große öffentliche Resonanz dürfte auch diesem Film sicher sein. Für die polnischen Kulturtage „PolenmARkT“ 2007 ist ein Filmabend mit Michael Majerski und seinem Film „Isakowitz. Erzwungene Wege“ vorgesehen.

Brit Bellmann
Kulturreferentin für Pommern

„Meiner Mutter Land - ich war eine Deutsche”

“Ein bewegender Dokumentarfilm über deutsche Frauen im polnischen Pommern. Sie wurden nach dem Krieg aus verschiedenen Gründen nicht vertrieben. Oder sie haben von sich aus entschieden, auf ihrem Bauernhof zu bleiben – und sich damit auf eine ungewisse Zukunft eingelassen.

Michael Majerski: Meiner Mutter Land
Wie funktionierte das Arrangement mit den polnischen Nachbarn – und mit den eigenen Feindbildern?

Jetzt, mehr als 60 Jahre nach dem Krieg, erzählen die Wenigen, die noch am Leben sind, zum ersten Mal von ihrem Schicksal. Die Folgen des Krieges reichen bis in unsere Gegenwart hinein – ein Thema, das sowohl in Polen wie in Deutschland stets heikel war und auch immer noch tabuisiert wird.

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